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Von allem weniger, vom Guten mehr: KonMari für Menschen mit Armutserfahrungen

Loslassen ist für einige Menschen leichter als für andere. Besonders Menschen, die schon einmal in Armut gelebt haben, können Schwierigkeiten damit haben, Dinge loszulassen. Für uns, die erfahren haben, wie das Geld zwischen den Fingern zerrinnt, sind Gegenstände manchmal das Einzige, was wirklich echten Wert hat.

Weil ich Gegenstände anfassen kann. Weil sie einen direkten, unmittelbaren Nutzen haben. Weil auf den billigen Klamotten keine Kuckuck-Aufkleber haften.

Zeug, Zeug, so viel Zeug

Dinge auszumisten, sie loszulassen, das kann gerade für Menschen, die einmal arm waren, eine Herausforderung sein. Für mich war es zumindest so.

Ich hatte seit meinen Jahren in Armut einige Jahre in relativem Wohlstand gelebt und mich eigentlich daran gewöhnt. Ich konnte Geld ausgeben für Dinge, die ich nicht unmittelbar brauchte, und ich konnte sogar ein bisschen sparen. Das ist nicht selbstverständlich. Aber es fiel mir schwer, altes Zeug loszulassen. Konnte ich das alte ausgeleierte Longsleeve nicht doch noch irgendwie benutzen, obwohl die Elasthanfasern allesamt gerissen waren und wie ein feiner grauer Pelz aus dem Baumwollgewebe lugten? War ich denn wirklich sicher, dass ich die Hose von 2003 nicht mehr tragen wollen würde, also gerade sollen Hüfthosen doch wiederkommen! Also hielt ich mich an meinem Zeug weiter fest wie eine Ertrinkende an Treibgut.

Im Laufe der Jahre habe ich auf diese Weise viel Kleidung angesammelt. Mein Leben veränderte sich nach dem Studium, ich brauchte schickere Kleidung für meinen schickeren Job. Dann änderte sich mein Leben wieder, und ich brauchte wieder legere Kleidung für meinen legeren Job. Ich wurde schwanger, kriegte ein Kind, neues Leben, neue Kleidung. Dazu kommt, dass ich irgendwo zwischen maskulinem* und femininem* Stil hin- und hermäandere, und ich mich so kleiden können will, dass ich mich wohl fühle, egal, wie ich mich gerade fühle. Und ich gab mir zwar Mühe, ab und zu auszusortieren, aber es wollte nicht wirklich funktionieren

Sich (nichts) gönnen können

KonMari, die Methode von Marie Kondo, Gegenstände anzusehen, in den Händen zu halten, in sich hineinzuhorchen, zu bewerten – und schließlich auszusortieren und neu zu organisieren, versprach einen anderen Ansatz. Ich musste nicht auf 100 Dinge aussortieren, musste keinen starren Regeln irgendeines Minimalismus-Gurus folgen. Ich konnte in mich hineinhören und schauen, welche Kleidung mich „mit Freude erfüllt“.

Ein großer Berg Kleidung, aufgetürmt auf einem Bett.
KonMari, Stadium 1: Ein Berg Kleidung auf einem Bett aufgetürmt.

Und es hatten sich viel Kleidung angesammelt (und viele andere Dinge, aber so weit bin ich noch nicht)! Und wie das manchmal ist, zwischen den 30 mittelmäßigen Oberteilen, die auch irgendwie noch passen und irgendwie okayish aussehen gingen die 20, die ich liebte, komplett unter. Die Kleidungsstücke, die mir die meiste Freude bereiteten, waren schwer zu finden, und wenn ich sie doch fand, wollte ich sie lieber „schonen“ – und zog dann doch wieder die mittelguten Sachen an, die auch noch irgendwie gingen.

Der Klamottenberg auf dem Bett verfehlte das Schockmoment nicht.

Ich hielt also meine ranzigen Oberteile, die Jeans, die schon immer schlecht gesessen hatten, die Fehlkäufe, all die Sachen, die ich all die Jahre mit mir herumgeschleppt hatte, die unzählige Umzugskartons von innen gesehen hatte, in den Händen und wartete darauf, dass sie in mir etwas berühren. Und das taten sie.

Mehrere Tütel und eine Klappkiste voller Kleidung: Meine aussortierten Kleidungsstücke.
KonMari, Stadium 2: Die aussortierten Klamotten.

Sie machten mich traurig. Ich schämte mich für sie. Ich fühlte mich angewidert, beschämt, befremdet, irritiert. Ich glaube, es ist wichtig, nicht nur auf dieses ominöse „sparking joy“ zu achten, sondern auch auf diese negativen Gefühle. Also legte ich die Kleidung, die in mir schlechte Gefühle auslöste, zusammen, bedankte mich und sagte tschüss.

Dieser letzte Schritt, das „Danke“ sagen, das war der Unterschied. Dieses Detail war es, was mir die Trennung von meinem überflüssigen Zeug möglich machte. Für mich war das, als würde ich einem Teil meiner armen Vergangenheit „danke“ und „tschüss“ sagen. Sie endlich akzeptieren – und loslassen. Endlich loslassen.

Und dazwischen: Ich

Mehrere Stapel ordentlich gefaltete Kleidung von oben fotografiert.
KonMari, Stadium 3: Kleine Stapel mit sortierten Kleidungsstücken, die ich behalten will.

Und mitten in diesem Berg aus schlechten Gefühlen, halb Knauserigkeit und halb Kaufrausch, waren die Stücke, die ich liebte. Wunderschöne Sachen, die ich gerne trage, die ich vor Jahren schon gerne getragen hatte, die aber bisher immer in dem Wust aus Zeug untergegangen waren. Und natürlich gab es auch Kleidungsstücke, bei denen ich mir unsicher war. Die mich ein bisschen happy machten, und auch ein bisschen traurig. Mit manchen verbinde ich schlechte Erinnerungen, mit anderen einfach – nichts. Ich habe versucht, so gut zu entscheiden, wie es ging, und für ein paar Kleidungsstücke heißt das, dass ich sie verändern werde, bemalen oder umnähen.

Ich muss sagen, dass das Gefühl, meine übrig gebliebenen Sachen zusammenzufalten und aufrecht gepackt in langen Kisten zu verstauen, sehr gut war. Ich glaube, ich habe mich noch nie so gut gefühlt, was meine Kleidung anging. Ich mache den Kleiderschrank auf, und da ist kein Kleidungsstück mehr, das mir ein schlechtes Gefühl macht. Das ich erst aus dem Schrank ziehe, um es dann wieder hineinzustopfen, weil es zu kaputt zum anziehen ist. Kein Stück, das ich nur gekauft habe, weil es heruntergesetzt war und ich dringend was brauchte und es danach nicht mehr loswurde.

Eine Kiste mit fein säuberlich gefalteten, aufrecht stehenden T-Shirts
KonMari, Stadium 4: Hochkant gefaltete T-Shirts in einer Kiste.

Ich habe den Eindruck, ich verstehe, wieso Marie Kondo sagt, die Methode würde das Leben verändern. Die Auseinandersetzung mit unseren stofflichen Dingen ist zu einem gewissen Teil auch immer eine Bestandsaufnahme der eigenen Person und der eigenen Geschichte. Das ist für einige bestimmt einfacher als für andere, keine Frage. Profitieren können wir aber alle von der bewussten Auseinandersetzung mit der persönlichen materiellen Kultur.

Ich habe mich nach dem Aussortieren mehrere Tage lang sehr dünnhäutig gefühlt. Erst zwei Wochen später konnte ich die Aufbewahrungsboxen kaufen (ja, trotz No-Buy-Jahr, sue me). Aber jetzt bin ich sehr, sehr happy: Ich habe viel weniger. Weniger Mist, den ich aus falschem Pflichtgefühl mit mir herumschleppe. Weniger Zeug, das ich statt meiner „guten“ Sachen anziehe. Weniger Altlasten. Und so viel mehr Platz.

Ein Kleiderschrank mit einigen Kistchen, in denen aufrecht Kleidungsstücke stehen. Er sieht aufgeräumt aus.
KonMari, Starium 5: Ein Kleiderschrank, viel leerer als vorher.

Zum Schluss noch ein paar Leseempfehlungen: Distel hat vor zwei Wochen schon über ihre KonMari-Erfahrungen geschrieben, auch im Zusammenhang mit ihrem No-Buy-Jahr. Und auch The Rosenblatts haben einen Artikel zum Thema KonMari und Armut geschrieben, den ich nur sehr ans Herz legen kann!

*) Ich betrachte Geschlecht als soziales Konstrukt und „maskulin“ und „feminin“ als stereotype Ausprägungen einer angenommenen Binarität. Dazwischen gibt es aber noch viel mehr, und darüber hinaus auch, und nur, weil jemand von der Mehrheit der Menschen der westlichen Welt auf irgendeine Weise wahrgenommen wird, macht das die Person nicht automatisch dazu. Nur, weil jemand feminin gekleidet ist, muss das nicht bedeuten, dass die Person an sich feminin ist oder eine Frau ist oder feminine Stereotype bedient.

Das Problem mit schwammigen Kategorien im No-Buy

Letztes Wochenende habe ich damit verbracht, meinen Kleiderschrank nach der Konmari-Methode auszumisten. Angesteckt war wurde ich durch die Netflix-Serie, aber auch durch Distel und insgesamt die Leute auf Mastodon. Das Aussortieren war sehr, sehr gut, wenn auch gleichermaßen anstrengend, und ich werde dazu noch einen Artikel schreiben. Dazu fehlen mir aber noch die letzten Schritte, daher bitte ich noch um Geduld.

Was ich aber gemerkt habe, als ich meinen Kleiderschrank aussortierte: Ich habe in den letzten Jahren zu viel Geld für zu viele Klamotten von zu schlechter Qualität ausgegeben. Viele der Oberteile, die in den Altkleidersack wanderten, waren weder nachhaltig noch besonders schön. Darin lag auch ihre Überflüssigkeit: Sie waren nicht besonders für mich. Sie waren beliebige Konsumgüter, zum Teil nie getragen.

Ein großer, chaotischer Berg von Kleidungsstücken, die durcheinander fallen.

Was ich dabei auch merkte, war: Mir fehlt eine bestimmte Art von Oberteil: Ein einfaches Longsleeve. Schwarz, relativ warm, um es im Winter unter Pullover zu ziehen oder im Frühling und Herbst als Oberteil zu tragen. Mit einem normalen Kragen, keinem Rollkragen. Ich hatte vor dem Aussortieren vier Rollkragenoberteile, von denen ich zwei wegen schlechter Qualität wegsortiert habe. Ich habe einige Hemden, die ich unter Pullover tragen kann. Und ich habe ein einziges, weites, quergestreifes Longsleeve. Und ein dünnes Dreiviertelarm-Top in blassem Rot. Ich mag die beiden gerne, auch die zwei übriggebliebenen Rollkragenoberteile, aber ich habe das Gefühl, dass mir ein Oberteil fehlt. Ein absolut einfaches Basic-Teil.

Wieso ich das bisher nicht gewusst habe, ist eine gute Frage. Ich denke, ich habe die Sachen getragen, die jetzt dem Ausmisten zum Opfer gefallen sind: Meh-Teile, die sich schlecht anfühlten, in denen ich schwitzte, die nicht richtig passten oder die inzwischen alt waren und das Elasthan ausgenudelt. Jetzt, da ich nur noch Dinge im Kleiderschrank habe, die ich wirklich mag, sehe ich die Lücke erst. Ich habe nicht jeden Tag Bock auf einen Rollkragen oder Hemdkragen, die stören mich oft. Und das gestreifte Top ist irgendwie mehr für drüber als für drunter. Der Stoff ist fest, und unter hellen Pullis kann ich es nicht tragen, ohne, dass das Streifenmuster durchguckt.

Jetzt stehe ich in meinem No-Buy-Jahr ein bisschen vor einem Luxusproblem. Mein Dilemma ist: Ist „schwarzes Longsleeve“ eine eigene Kategorie, die nach meinen Regeln einen Kauf rechtfertigen würde? Oder ist „langärmliges Oberteil“ die (weiter gefasste) richtige Kategorie?

Ich bin nicht sicher, ob ich mich hier selbst betrüge. Und gleichzeitig weiß ich auch nicht, wie lang das Thema überhaupt wichtig sein wird: Wird dieser Winter kurz oder lang? Werde ich mich in zwei Monaten ärgern, weil ich dauernd friere oder einen aufgescheuerten Hals von den nervigen Kragen habe?

Ich muss auf jeden Fall noch mindestens eine Woche warten, bis ich nach meinen No-Buy-Regeln etwas kaufen kann. Ich hoffe, dass ich danach klarer sehe.