Wenn die Ärzte bei den tagesthemen auftauchen, um über die Probleme des Kultursektors zu reden, dann muss die Kacke ganz schön am Dampfen sein.
Kulturbetrieben und Künstler*innen geht es schlecht. Veranstaltungen fanden dieses Jahr kaum statt, und Herbst und Winter versprechen, die Situation weiter zu verschärfen. Vernissagen, Konzerte, Theater, nix geht, alle bleiben zu Hause.
Muss das so sein? Nein, natürlich muss es das nicht! Wir alle sind Kultur. Wer nicht selbst Kultur schafft, konsumiert sie doch zumindest, redet über Serien, Musik oder Filme, über coole Events und Sachen, die si*er neu entdeckt hat und einfach mega findet. Kultur ist wichtig. Ohne sie sind wir kaum mehr als stumpfe Tiere.
Aber was tun? Weggehen ist nicht bei den aktuellen Zahlen. Also, wie Kultur unterstützen, so dass idealerweise noch was bei den Künstler*innen ankommt? Denn klar können wir uns jetzt alle bei Spotify, Apple Music und Co. berieseln lassen. Aber hilft das den Künstler*innen denn? Sorgen wir so dafür, dass die Kultur die Krise überlebt, die wir lieben? Bleiben wir der Einfachheit halber bei Musik: Künstler*innen bekommen von einem Stream normalerweise weniger als einen Cent. Nicht gerade großzügig. Und dann ist der Markt auch noch unfair: Große Label pushen die, bei denen der höchste Profit zu erwarten ist, und schöpfen vom Gewinn dann das Maximum ab.
Cool geht anders.
Corona kann eine Chance sein – wenn wir das wollen
Zum Beispiel so: Seit längerer Zeit macht Bandcamp von sich reden als Hafen für unabhängige Künstler*innen und kleine Label. 15% nimmt die Plattform von Verkäufen, übernimmt Hosting und Streaming. Und ich liebe es!
Schon bevor Corona die Welt überrollte, gab es bei Bandcamp hin und wieder den „Bandcamp Friday“. Während dieses Tages verzichtet die Plattform komplett auf ihre Prozente. Perfekte PR, und super für kleine Künstler*innen. Und seit Corona da ist, gibt es den Bandcamp Friday regelmäßig jeden ersten Freitag im Monat. Die Seite IsItBandcampFriday sagt, wann der gesamte Umsatz an die Künstler*innen geht.
Auf Bandcamp zahlt man nicht regelmäßig für ein Abo, sondern für den Besitz von Musik, inklusive Download. Oldschool! Streaming ist trotzdem inklusive, und das macht das Modell richtig bequem und super.
Was ich gerade höre
Genug Aufruf zur Unterstützung. Hier sind meine persönlichen Entdeckungen. Hört rein, und wenn es euch gefällt, kauft euch ein Stück von der Kultur, die ihr in die Zukunft hinüberretten wollt!
Minimales Elektro: roots & engines
Minimal-Elektro aus Hinterzarten. Ein experimentelles Album, das über den Zeitraum von acht Jahren gewachsen ist. Es groovt gruftig!
Smoothes ambient Synth: lastfuture
Ruhiger Minimalismus, wie der melancholische Soundtrack zu einem Space-Exploration-Game.
Experimental progressive Rock: Soleil Macabre
Leckerer Progsound. Lange, atmosphärische Stücke, die sich entwickeln und ausbreiten.
Scheckno aus Heidelberg: Slow Bar
Tiefenentspannte Sounds in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen haben sich auf dieser Compilation zusammengefunden. Zurücklehnen, Ohren aufsperren, chillen.
Whoa whoa whoa! Halt, Stopp! Das sind aber viele Buzzwords in einem Titel! Ist das hier einer von diesen Clickbait-Artikeln? Nein. Ich verdiene nämlich gar nichts, wenn meine Artikel geklickt werden. („Whaaaaaaat!1!“) Nicht alles hat mit Kapitalismus zu tun.
Also zumindest nicht dieser Text, nicht so.
Jetzt, wo wir das aus dem Weg haben: Diese „Buzzwords“ sind gerade erstarkende Bewegungen, von denen manche politischer daherkommen als andere. Aber sie alle haben gemeinsam, dass sie etwas in unserer Gesellschaft sichtbar machen, das wir bisher vielleicht nicht so klar sehen konnten.
Außerdem bin ich heute über den Artikel gestolpert Zehn Zwänge, die uns der Kapitalismus einbrockt. Neugierig klickte ich – und war von dem klitzekleinen Bogen, den der Artikel spannt, komplett unterrascht. Uh, ja, wir arbeiten für Geld, das war nicht immer so. Big Deal. Durchgeplante Arbeit führt zu durchgeplanter Freizeit. Gähn. Schnell wieder zugemacht und statt dessen angefangen, selbst zu schreiben.
Dabei berührt Kapitalismus uns viel tiefer. Er bestimmt unser Denken und Fühlen. Er verändert unsere Wahrnehmung. Er degradiert Menschen zu Verbrauchern, deren Sinn es ist, Waren zu fertigen, Dienstleistungen zu erbringen, zu konsumieren und dann zu sterben.
Marie Kondo, Göttin der Selbst-Genügsamkeit
Enter Marie Kondo. Sie schreibt uns nicht vor, was wir besitzen müssen. Sie sagt nicht, ob 10 Jeans zu viele, zu wenige oder gerade richtig viele sind. Sie sagt nur: Nimm dir die Zeit, dein Zeug in Ruhe anzusehen. Nimm dir die radikale Freiheit, ohne besondere Gründe Dinge auszusortieren. Nimm dir den Mut, alles kritisch anzuschauen und zu sehen, was dich davon glücklich macht.
Die Erfahrung, die viele machen, die mit Hilfe von Konmari ausmisten: Es sind viel weniger Sachen als gedacht, die „Joy sparken“, also Freude auslösen. Viele Sachen sind Ballast, viele machen traurig, nageln eine*n in der Vergangenheit fest. Ich habe beim Ausmisten sehr stark gespürt, mit wie vielen negativen Gefühlen mein Zeug aufgeladen war. Ich hielt an Zeug, nein, an Müll fest, weil … ich irgendwann einmal Geld dafür ausgegeben hatte. Weil ich dachte, dass das „zu schade“ zum Ausmisten ist. Weil ich es ja noch mal brauchen könnte.
Aus Marie Kondo folgt: Es sind nicht die Dinge, die wirklich glücklich machen können. Die Dinge sind ein Mittel zum Zweck. Manche gewinnen wir lieb, füllen sie mit Bedeutung und guten Erinnerungen. Die sparken dann auch Joy, und wir halten lange an ihnen fest. Aber nicht, weil diese Dinge das von sich aus mitgebracht hätten. Sondern weil wir etwas mit ihnen gemacht haben.
Das No-Buy ist für mich ein logischer Schritt nach dem Konmari-Ausmisten, auch wenn ich selbst erst mit dem No-Buy angefangen und dann ausgemistet habe. Aber nach der Feststellung, wie viel Zeug wir eigentlich alle besitzen, und wie wenig glücklich es macht, kommt die Erkenntnis, dass das impulsive Mehr-Kaufen von mehr Zeug nicht dazu führen wird, dass wir glücklicher sind, unsere Ziele eher erreichen oder uns langfristig besser fühlen.
Wenn das Zeug, das ich früher gekauft habe, mich jetzt nicht glücklicher gemacht hat – wird dann das Zeug, das ich jetzt kaufe, mich in Zukunft glücklicher machen?
Ich arbeite hart daran, nicht ein einziges Stück Müll bei mir einziehen zu lassen. Durch mein No-Buy habe ich mir eine Art Entgiftung verschrieben, die mich aus meinen Konsumgewohnheiten reißen soll. Und was soll ich sagen, es wirkt!
Mit Misstrauen betrachte ich die Menschen, die durch Fußgängerzogen schlendern, eigentlich nur spazieren gehen, aber nicht durch Wald oder Feld, sondern durch den Konsum streifen. Mit Ekel schaue ich auf unter furchtbaren Umständen produzierte Waren, die in Läden hängen, die mit „25 % unserer Mode ist nachhaltig produziert!“ werben, ohne ausführen zu müssen, was das eigentlich sein soll, dieses „nachhaltig“. Mit Widerwillen schaue ich auf meine viel zu große Makeupsammlung, die ich zwar schon etwas ausgedünnt habe, aber die noch mehr Zeit brauchen wird, bis sie auf ein sinnvolles Maß geschrumpft ist. Mit Verachtung höre ich immer noch zu viele Politiker*innen, die Konsum, Arbeit und Würde miteinander koppeln. Als gäbe es keine Alternative. Als würde alles besser werden, wenn wir uns nur ganz, ganz dolle anstrengen und schnell viel konsumieren! Kauft, Leute, kauft!
Zero Waste: Wenn schon Konsum, warum dann nicht anders?
Und überhaupt, wenn wir etwas kaufen, wie kaufen wir es dann? Wieso sind meine Gurken eigentlich verpackt? Das muss auch anders gehen! Zero Waste ist das neue Bio. Denn Verpackungsmüll, damit das unter menschenunwürdigen Bedingungen produzierte Gemüse von relativ weit weg möglichst keimfrei aussehend für möglichst lange Zeit in unseren riesigen Einkaufstempeln dümpeln kann, ist einfach mal kacke. Das kann man so hinnehmen – oder auch nicht! Wo einige schon darauf achten, fair produzierte Lebensmittel zu kaufen, steht bei Zero Waste die Müllvermeidung im Vordergrund. Ich bin jetzt nicht sicher, ob sich die Zero-Waste-Herangehensweise nur auf die Verpackung beim Kauf beschränkt, ich nehme es aber an, da es ziemlich schwierig ist, die komplette Produktionskette seriös zu durchleuchten.
Aber wäre ein Siegel dafür, Waren plastikfrei herzustellen, nicht eine erstrebenswerte Sache?
Fridays for Future, die Zukunft ist jetzt
Die Zeit wird knapp. Viel zu lange haben wir auf zu großem Fuß gelebt. Wir haben uns die Gegenwart von der Zukunft geliehen, und jetzt holt uns die Zukunft ein. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Es geht einfach nicht, Punkt. Nicht, wenn wir eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten haben wollen.
Das hat die Bewegung Fridays for Future erkannt. Sie haben so Recht. Nein, wir können in Zukunft nicht mehr fix nach Paris fliegen, dann zum Entspannen schön auf die Kanaren, und im Winter der Sonne hinterher nach Thailand. Wir können nicht, wenn wir die Welt nicht in katastrophalem Zustand hinterlassen wollen. Und zumindest ich bin nicht bereit, das billigend in Kauf zu nehmen.
Und vollkommen zu Recht fordert die Bewegung die Politik auf, gegenzusteuern. Denn auch wenn wir mit kleinen Handlungen manchmal Kleinigkeiten bewegen können, lastet dadurch doch der Druck auf dem Individuum. Es gibt Menschen, die brauchen Strohhalme! Es ist nicht ihre Schuld, dass die billigsten Strohhalme aus Plastik sind und die von Restaurantbesitzenden gekauft werden. Niemand verdient es, dafür beschämt zu werden, eine einfache Lösung zu wählen. Ist ja schön, wenn ich mir als Mensch mit Zeit und Geld aussuchen kann, keinen Müll zu machen – aber das ist ein Tropfen auf den heißen Stein in Anbetracht der Möglichkeiten, die es zur Müllvermeidung gäbe!
Angebot und Nachfrage
Die Zeit ist reif für tiefgreifende Änderungen. Für mutige Schritte. Manche probiere sie im Kleinen aus, testen, ob das klappt mit diesem Leben ohne Müll, mit weniger Konsum. Die Erkenntnis wächst, dass es geht. Und dass es gehen muss.