Mein No-Buy läuft jetzt etwas über eine Woche. Und ich erwische mich immer noch dabei, dass ich die Webseiten besuche, auf denen ich früher gerne eingekauft habe, um zu sehen, ob es etwas Neues gibt. Dass ich durch Läden gehe und gucke, was es Neues gibt. Was ich noch nicht ausprobiert habe. Ich will trotz meines No-Buy-Jahres auf dem Laufenden bleiben.
Was genau heißt das eigentlich? Was heißt das, bin ich etwa besonders anfällig bin für dieses Neue, nach dem ich immer suche? Was davon ist eigentlich Ausdruck meiner Persönlichkeit, und was davon habe ich durch geschickte Verstärkung gelernt?
Und wer oder was hat mein (Kauf-)Verhalten verstärkt?
Was ist das „Neue“, dem ich hinterherjage?
Ich bin eine derjenigen, bei denen der Offenheit für Erfahrungen wegen des Deckeneffekts nicht mehr valide gemessen werden kann, sprich: Ich bin extrem neugierig, wissbegierig, Neuem gegenüber äußerst positiv eingestellt, suche stets Abwechslung und fokussiere stark auf neuen Input. Das ist nicht besser oder schlechter als das nicht so zu empfinden, das bin einfach ich.
Diese Offenheit für Erfahrungen macht mich aber, das verstehe ich inzwischen, zu einem gefundenen Fressen für die Stimmen, die mir raten, diesen Impulsen ständig nachzugeben. Also eigentlich alle Stimmen, die irgendwas mit Werbung zu tun haben. Neuer Lippenstift? Pssst! Gleich ausprobieren! Neuer Modetrend? Hui, wenigstens mal im Laden gucken, oder doch gleich kaufen? Was neues abgefahrenes zu Essen? Muss ich sofort probieren, wo kriege ich das jetzt schnell her?
Dabei vermischen sich bei mir zwei Dinge: Meine Freude daran, Neues zu erleben auf der einen Seite. Dieses Neue kann nämlich eigentlich alles sein: Neue Sinneseindrücke. Neue Menschen. Neue Erfahrungen. Neues Wissen. Ja, und auch neue Dinge. Und die wilden Versprechungen der Werbung, dass ein einfach verfügbares, käufliches neues Produkt der Schlüssel zu einem neuen Erlebnis ist auf der anderen Seite: Es ist besser! Es ist schöner! Es ist so unvorstellbar anders und einzigartig! Nie dagewesen! Neuneuneu! Der Lippenstift hat eine Farbe, die du noch nie gesehen hast! Der Modetrend ist nie zuvor dagewesen! Und das neue Essen (ist zwar einfach von anderen Kulturen geklaut und künstilich westlich aufgehyped, aber) bringt dir ungeahnten Genuss.
Der auf diese Weise aufgeladene und aufgebauschte Wunsch nach kaufbaren neuen Erfahrungen führte bei mir dazu, dass ich mich im Konsum verlor. Dass ich mehr kaufte, um mehr zu erleben. Die Folgen sehe ich jeden Tag: Ich habe im Moment noch fünf angebrochene Deos herumstehen. Vier Shampoos habe ich in der Wohnung zusammengesucht (dabei habe ich schon eines verbraucht). Ich fange gar nicht mit meinen Haarstylingprodukten an. Oder mit meinen Lippenstiften.
Konsumieren um zu existieren
Ist es mein Wunsch, mitreden zu können? Die Freude daran, Tipps geben zu können? Es ist sicherlich einfacher, etwas zu kaufen und so neue Erfahrungen zu erwerben, als sich die Mühe zu machen, etwas über neue Ideen und Konzepte zu lernen. Als ein neues Hobby zu lernen, und ich meine jetzt nicht einfach eine Materialschlacht zu vollführen, sondern eine Fähigkeit zu lernen. Vielleicht eine Sprache, ganz ohne viel Kaufzeug. Das ist viel, viel schwieriger.
Und das Versprechen nach Neuem wird bei diesen nicht-materiellen Erwerbungen auch nicht ständig durch Werbung verstärkt. Kein Plakat plärrt mich an: „Lern endlich was über die Politik der 1920er Jahre!“ – zumindest nicht, ohne mir gleich ein alle-Probleme-lösendes Kaufprodukt direkt unter die Nase zu halten. Kein Radiospot sagt: „Siebenbürger Küche wie deine Oma sie gekocht hat, lecker-lecker-lecker-lecker!“, und kein A-, B- oder C-Promi umschmeichelt mich mit „Bring dich auf den aktuellen Stand in deinen Fachgebieten!“ Die wollen mir alle nur was gegen meine Falten verkaufen.
Ich merke, dass Konsum zu einer Ausdrucksform geworden ist. Ich kaufe, also bin ich. Und ich bin, was ich kaufe. Nein: Ich kaufe, was ich sein will. Ich will schön sein, dann kauf ich mir Lippenstift. Ich will modern sein, dann kaufe ich mir irgendsoein Modeteil, das ich genau eine halbe Saison anziehen kann. Ich will erfolgreich sein, dann kaufe ich mir, was andere erfolgreiche Menschen bewerben! Es ist so einfach. Es ist zu einfach.
Schnell, kauf was, sonst verlierst du den Anschluss!
Und da ist noch dieser andere Gedanke: Ich will den Anschluss nicht verlieren. Ich frage mich: Den Anschluss woran? An eine Gesellschaft, die munter auf die Klimakatastrophe hinkonsumiert? An Mode, die sich schneller ändert, damit mehr gekauft wird, damit mehr weggeschmissen wird? Werden hier Werte vertreten, denen ich mich anschließen möchte?
Verliere ich den Anschluss daran, auf Parties über oberflächliche Themen reden zu können? Wen will ich hier eigentlich beeindrucken? Sollte ich dieses Konformitätsbedürfnis nicht mit dem Verlassen der Schule hinter mir gelassen haben?
Es scheint an der Zeit, kritisch darauf zu schauen, an wen und was ich mich da eigentlich anschließe. Welchen Bedürfnissen ich unhinterfragt nachgebe. Durch meinen Konsum. Durch meine Käufe. Durch meine Entscheidungen.
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